Verfahren
Antifaschistisches Engagement ist vielfältig – und unverzichtbar. Umso klarer ist die Botschaft, wenn genau das kriminalisiert wird: Wir stehen nicht allein. Wir stehen zusammen.
Budapest-Komplex
Am 11. Februar 2023 protestierten Antifaschist*innen in Budapest gegen den so genannten „Tag der Ehre“ – eine Neonazi-Veranstaltung, zu der europaweit mobilisiert wurde. Am Rande kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen, bei denen Rechte verletzt wurden. Ungarische Behörden reagierten mit Verhaftungen, Hausdurchsuchungen, U-Haft und internationaler Fahndung gegen linke Aktivist*innen. Deutsche Behörden unterstützten aktiv: Dutzende Personen wurden observiert, Wohnungen durchsucht und mehrere Antifaschist*innen festgenommen.
Besonders schwerwiegend ist der Fall von Maja T., einer non-binären antifaschistischen Person: Obwohl die queer- und trans*feindliche Politik, die offenen Rechtsbrüche in der ungarischen Justiz und die menschenverachtenden Haftbedingungen bekannt waren, wurde Maja T. nach Ungarn ausgeliefert. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Auslieferung zunächst untersagt – eine Entscheidung, die von deutschen Behörden faktisch übergangen wurde. Die Rote Hilfe kritisiert diesen Bruch rechtsstaatlicher Prinzipien scharf. Im Prozess in Budapest, der im März 2025 begonnen hat, drohen Maja bis zu 24 Jahre Haft.
Zehn Aktivist*innen sitzen in deutschen Gefängnissen, und eine Auslieferung an Ungarn ist noch nicht ausgeschlossen. Ein Antifaschist, Zaid, ist derzeit gegen Auflagen frei. Parallel laufen Ermittlungen noch gegen mehrere weitere Beschuldigte.
Die Nürnbergerin Hanna S. steht inzwischen in München vor Gericht. Die Anklage wirft Maja nicht nur die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach §129 vor, sondern auch versuchten Mord – eine groteske Konstruktion, gestützt auf vage Indizien. Der Budapest-Komplex wird so zum Präzedenzfall: Internationale antifaschistische Vernetzung wird als kriminelle Vereinigung nach § 129 verfolgt. Die Botschaft ist klar – wer sich rechten Aufmärschen konsequent in den Weg stellt, riskiert Repression auf höchster Ebene.
Wir sagen: Antifaschismus ist notwendig – auch über Grenzen hinweg. Die Solidarität endet nicht an nationalen Gerichtsgebäuden. Freiheit für Maja, Hanna und alle anderen Betroffenen!
Mehr auf basc.newsMaja
Maja wird beschuldigt, im Februar 2023 an körperlichen Auseinandersetzungen mit Nazis in Budapest beteiligt gewesen zu sein. Wie weitere Antifaschist*innen tauchte die non-binäre Person aus Jena unter, um der Verfolgung zu entgehen, wurde aber im Dezember 2023 in Berlin verhaftet. Schon bald war klar: Die deutschen Behörden würden auch vor einer Auslieferung nach Ungarn nicht zurückschrecken – obwohl dort weder rechtsstaatliche Mindeststandards noch menschenwürdige Haftbedingungen gelten. Unter dem offen queer- und trans*feindlichen Orbán-Regime ist Maja zudem besonders gefährdet.
Ende Juni 2024 wurde Maja in einer Nacht-und-Nebel-Aktion an Ungarn überstellt – wenige Stunden, bevor das Bundesverfassungsgericht die Auslieferung untersagte und sie nachträglich für rechtswidrig erklärte.
Seither sitzt Maja unter menschenunwürdigen Bedingungen in Einzelhaft. Im März 2025 begann der Prozess – mit einer drohenden Strafe von bis zu 24 Jahren. Wie befürchtet, läuft das Verfahren unter Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze.
Der Fall von Maja braucht unsere besondere Solidarität. Es gilt, auf eine Verlegung in Hausarrest oder zumindest auf menschenwürdige Haftbedingungen hinzuwirken. Maja muss zurückgeholt werden – und weitere Auslieferungen müssen verhindert werden!
Hanna und Zaid
Hanna S. wird im Zusammenhang mit den Protesten gegen den »Tag der Ehre« in Budapest 2023 beschuldigt, an einem Angriff auf Neonazis beteiligt gewesen zu sein. Im Mai 2024 wurde sie verhaftet und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Der Prozess vor dem Landgericht München läuft seit Februar 2025. Die Anklage lautet unter anderem auf versuchten gemeinschaftlichen Mord – ein Vorwurf, der sich auf kaum belastbare Indizien stützt.
Zaid A., der keine deutsche Staatsangehörigkeit hat, stellte sich Anfang 2025 freiwillig der Polizei. Ihm drohte die Auslieferung nach Ungarn – in ein Land, das für seine autoritären Zustände, willkürlichen Haftbedingungen und politische Justiz bekannt ist. Nach massivem öffentlichem Druck und juristischen Interventionen wurde Zaid im Mai 2025 aus der Auslieferungshaft entlassen. Er muss aber strenge Auflagen beachten. Während die Bundesanwaltschaft bei anderen Beschuldigten signalisiert hat, die Verfahren in Deutschland führen zu wollen, erklärt sie sich im Fall von Zaid für nicht zuständig. Damit bleibt Zaid konkret von einer Auslieferung ins autoritäre Ungarn bedroht.
Beide Verfahren sind exemplarisch für die Dynamik des Budapest-Komplexes: Antifaschistische Vernetzung wird als internationale Bedrohung konstruiert, Aktivist*innen werden entmenschlicht, isoliert und mit drakonischen Mitteln verfolgt. Die Rote Hilfe fordert die sofortige Einstellung beider Verfahren, ein Auslieferungsverbot in autoritäre Staaten und die Anerkennung antifaschistischer Praxis als notwendiger Teil demokratischer Zivilgesellschaft.
Mehr auf alleantifa.noblogs.orgAntifa-Ost
Das »Antifa-Ost«-Verfahren zählt zu den prominentesten Repressionskomplexen der letzten Jahre. Seit 2019 wurde gegen eine angebliche »kriminelle Vereinigung« ermittelt, der vorgeworfen wird, gezielt Angriffe auf organisierte Neonazis in Ostdeutschland durchgeführt zu haben. Im Fokus war in den ersten Jahren Lina E., die im November 2020 verhaftet wurde und jahrelang in U-Haft saß. Die Ermittlungen basieren zum Großteil auf der Aussage eines Kronzeugen und Vergewaltigers.
Der Prozess vor dem Oberlandesgericht Dresden dauerte über zwei Jahre. Im Mai 2023 wurde Lina E. zu 5 Jahren und 3 Monaten Haft verurteilt – die drei Mitangeklagten erhielten ebenfalls mehrjährige Haftstrafen. Dabei stützte sich das Gericht auf Indizien, politische Zuschreibungen, mutmaßliche Gesinnung und die unglaubwürdigen Aussagen eines Kronzeugen, nicht auf belastbare Beweise. Die Konstruktion einer »kriminellen Vereinigung« innerhalb der antifaschistischen Bewegung ist aus Sicht der Roten Hilfe der zentrale politische Hebel in diesem Verfahren.
Trotz der Härte des Urteils wurde das Verfahren in weiten Teilen der Öffentlichkeit unkritisch begleitet. Die Botschaft der Repressionsbehörden war eindeutig: Antifaschistisches Engagement, das sich rechten Strukturen entschlossen entgegenstellt, soll exemplarisch kriminalisiert werden.
Im September 2025 soll ein zweiter Prozess im Antifa-Ost-Komplex beginnen, bei dem diesmal sieben Beschuldigte vor Gericht gestellt werden.
Die Rote Hilfe steht solidarisch an der Seite aller Betroffenen. Wir sagen: Gegen die Rechten zu kämpfen ist legitim. Wir lassen uns nicht spalten – und nicht einschüchtern.
Mehr auf soli-antifa-ost.orgDemos im Visier
Antifaschistischer Protest steht unter dauerhaftem Druck. Ob auf der Straße gegen Neonaziaufmärsche, vor Parteitagen der extremen Rechten oder in Solidarität mit kriminalisierten Genoss*innen – wer sich organisiert gegen rechte Entwicklungen stellt, wird ins Visier genommen. Polizeiliche Gewalt, Massenkessel, Hausdurchsuchungen, langwierige Ermittlungen und hohe Strafen sind keine Ausnahme, sondern Realität – bis heute. Die Ereignisse in Gera, Offenburg und Leipzig stehen dabei nicht isoliert: Sie markieren einen repressiven Kurs, der sich quer durch die letzten Jahre zieht.
Gera, 1. Mai 2023
Am 1. Mai 2023 demonstrierten Antifaschist*innen in Gera gegen einen Aufmarsch der rechtsextremen Partei „Die Heimat“ und anderer Neonazigruppen. Die Polizei griff die Gegendemonstration mit unverhältnismäßiger Härte an, kesselte über 250 Personen ein und nahm ihre Personalien auf. Monate später folgten Hausdurchsuchungen in mehreren Bundesländern, begründet mit dem Vorwurf des „Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall“. Diese Maßnahmen zielten klar auf die Einschüchterung antifaschistischer Strukturen ab.
Offenburg, AfD-Parteitag 2023
Am 4. März 2023 protestierten rund 1.200 Menschen gegen den AfD-Landesparteitag in Offenburg. Nach einer friedlichen Kundgebung stoppte die Polizei den anschließenden Demonstrationszug gewaltsam, setzte Schlagstöcke und Pfefferspray ein und nahm über 400 Personalien auf. In der Folge wurden 400 Ermittlungsverfahren wegen schweren Landfriedensbruchs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet. Hunderte Aktivist*innen wurden zu Geldstrafen verurteilt, einige sogar zu Bewährungsstrafen. Diese Repression diente der Abschreckung und Kriminalisierung legitimen Protests gegen die AfD.
Weitere Infos zum AfD-Parteitag 2023Leipzig, Tag X am 3. Juni 2023
Nach dem Urteil im Antifa-Ost-Verfahren mobilisierten Antifaschist*innen zum »Tag X« nach Leipzig. Die Stadt verbot die Demonstration, dennoch versammelten sich über 1.500 Menschen. Die Polizei kesselte 1.324 Personen bis zu elf Stunden lang ein, darunter auch Minderjährige. Die Betroffenen wurden ohne ausreichende Versorgung festgehalten. Es folgten über 1.300 Ermittlungsverfahren, von denen die meisten inzwischen eingestellt wurden. Dennoch kam es zu Hausdurchsuchungen und weiteren Repressionsmaßnahmen. In den kommenden Monaten stehen mehrere Prozesse bevor. Dieser Einsatz war eine Machtdemonstration des Staates gegen antifaschistischen Widerstand.
Weitere Infos zum Tag X in LeipzigDie Repression gegen antifaschistische Versammlungen folgt keiner Ausnahmelogik, sondern einem Muster. Wer sich organisiert gegen autoritäre Entwicklungen stellt, wird beobachtet, eingeschüchtert und verfolgt. Umso wichtiger sind Strukturen, die solidarisch handeln, sich vorbereiten und standhalten. Solidarität ist das, was uns verbindet – und was uns weiterkämpfen lässt.